« 10. Dezember »

Ein Zuhause in der Tasche

Ayanda und Tebogo haben beide eine Tasche. Darin sind ihre Schlafsäcke und ein paar Kleidungsstücke. In Ayandas Tasche steckt auch ein kleines Foto seiner Schwester. Das ist alles, was er von zuhause mitgenommen hat.

Im Sommer hat er es nicht mehr ausgehalten. Seine Mutter hat immer geschimpft und ihn sogar geschlagen. Sein Vater ist schon lange fort.

Tebogo betrachtet nachdenklich die Schaufenster, an denen die Jungen vorbeikommen. Die schönsten Dinge stapeln sich darin: Handys, Computer, Spielzeug, Kleidung, alles inmitten von geschmückten Bäumen und Blinkelichtern.

„Bald ist Weihnachten“, sagt Tebogo. „Im Center gibt’s ’ne Feier, das wird toll! Kommst du auch?“

„Weihnachten ist mir sowas von egal“, sagt Ayanda und dreht den Kopf von den Schaufenstern weg. Aber so ganz stimmt das nicht. Zuhause gab es immer Geschenke und einen Braai?, also gegrilltes Essen. Seine kleine Schwester hat so gern gesungen! Er hört ihre Stimme immer noch.

„Hier könnte es gehen“, sagt Tebogo in diesem Moment. Sie stehen vor einem Rohbau. Wie alle Baustellen ist er abgesperrt. Wachmänner? drehen ihre Runden. Aber hinter dem Bauschild hat sich ein Stück Zaun gelöst. Ayanda und Tebogo sind so dünn, dass sie durch die Lücke passen. Sie suchen sich einen Schlafplatz in der dunkelsten Ecke.

Der Stern fliegt ein bisschen näher an ein Fensterloch heran. Er möchte, dass die Jungs sein Licht in der Dunkelheit leuchten sehen. Doch sie kriechen tief in ihre Schlafsäcke und merken gar nicht, dass der Stern für sie scheint …

Braai

In Südafrika ist Weihnachten mitten im Sommer. Das liegt daran, dass die Jahreszeiten auf der südlichen Hälfte der Erde genau anders herum sind als bei uns im Norden. Darum liegt der Dezember in Südafrika mitten im Sommer. Da ist es dann manchmal so heiß, dass die Kerzen am Weihnachtsbaum in der heißen Luft schmelzen würden. Aber das macht nichts, weil man in Südafrika kaum Weihnachtsbäume aufstellt. Man feiert Weihnachten mitten im Sommer eben anders als bei uns, wenn es draußen fast immer dunkel und kalt ist.
So grillen die Leute in Südafrika zum Beispiel gerne zu Weihnachten. Sie sagen dazu nicht Grillen sondern Braai. Denn in Südafrika sprechen nur wenige Menschen deutsch. Es gibt dort elf verschiedene Sprachen, weil da so viele Menschen aus unterschiedlichen Völkern leben. Und „Braai“ ist ein Wort aus einer Sprache, die Afrikaans heißt und die nur in Südafrika gesprochen wird. Aber eigentlich ist das fast genauso wie ein Grillfest bei uns: Über einem Holzkohlefeuer wird ein Gitter gelegt. Das Fleisch vom Rind, Huhn oder Lamm wird darauf gelegt und gar gegrillt.
So kann man auch Weihnachten feiern. Wenn es schön warm ist, dann geht das eben auch draußen und ohne Tannenbaum.

Wachmänner

Überall gibt es Unterschiede zwischen den Menschen. Manche sind reich und haben viel und andere sind arm und haben wenig. In Südafrika sind diese Unterschiede sehr krass. Da gibt es sehr reiche Leute, die große Häuser mit eigenem Swimmingpool haben und einem großen Zaun drum herum. Und es gibt sehr arme Menschen, die haben überhaupt kein Zuhause, keine Arbeit und auch kein Geld, um sich Essen zu kaufen oder eine Wohnung zu mieten.

Wo der Unterschied zwischen Arm und Reich so groß ist, da ist es zu verstehen, dass die ganz Armen versuchen, sich etwas von den ganz Reichen zu holen. Doch auch, wenn man das verstehen kann; richtig ist das trotzdem nicht. Denn sich etwas zu nehmen, was einem anderen gehört, das ist Diebstahl. Und Diebstahl ist ein Verbrechen. Immer. Auch wenn es gemein ist, dass es so große Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen gibt.

Auch auf einer Baustelle gibt es immer wieder Diebe, die nachts versuchen, Steine, Kabel, Werkzeuge und noch vieles andere zu stehlen, um die Dinge zu verkaufen und so ein bisschen Geld zu bekommen. Und oft suchen auch Menschen wie Ayanda und Tebogo, die kein Zuhause haben, dort nach einem Platz, an dem sie einigermaßen sicher und trocken schlafen können.

Wegen der Diebe und der Menschen ohne Wohnung stellen viele Firmen und reiche Leute Wachmänner ein. Die Aufgabe dieser Wachmänner ist es, nachts wach zu sein (daher der Name) und das Haus – oder die Baustelle – zu beschützen. Wachmänner sind also so eine Art Privatpolizei. Und mit denen kann man ganz schön Ärger bekommen, wenn die einen dort erwischen, wo man nicht sein darf.