« 11. Dezember »

Der Wachmann

In der Nacht schreckt Ayanda hoch. Ein Lichtschein wandert durch das dunkle Gebäude. Ein Wachmann?kommt! Und es ist doch verboten, hier zu schlafen! Tebogo und er sind schon manchmal angeschrien und verjagt worden.

Doch zum Wegrennen ist es zu spät. Der Mann ist schon viel zu nah. Ayanda bleibt
mucksmäuschenstill liegen. Mit etwas Glück kommt der Wächter nicht bis in ihre Ecke.

Tapp, tapp, tapp, machen die Schritte. Die Taschenlampe leuchtet hierhin und dorthin. Und schließlich wird es vor Ayandas fest zusammengepressten Augen taghell. Der Mann hat sie gefunden!

Aber es passiert nichts, kein Schreien, kein Schimpfen. Ayanda öffnet die Augen einen Spalt weit. Er sieht schwere Stiefel, eine braune Hose und einen Gürtel mit einer merkwürdigen Schließe: ein goldener Stern glitzert daran.

Da wird es wieder dunkel. Der Lichtschein wandert weiter. Ayanda richtet sich vorsichtig auf und sieht den Wachmann mit seiner Lampe auf der Treppe nach oben verschwinden. Hat er die beiden Jungs etwa doch nicht bemerkt?

Auf Ayandas Schlafsack glitzert etwas im Licht der Sterne, die durch die Fensterhöhlen herein scheinen. Es ist ein kleines Ding aus Pappe: ein Stern. Seine Mum hat früher ganz ähnliche an den Weihnachtsbaum gehängt.

Ayanda schüttelt den Kopf. Bestimmt träumt er noch! Er legt sich hin und ist schon fast wieder eingeschlafen.

Er könnte doch mit Tebogo Weihnachten feiern, denkt er plötzlich. Nicht dass er es unbedingt wollte. Aber er könnte.

Wachmann

Überall gibt es Unterschiede zwischen den Menschen. Manche sind reich und haben viel und andere sind arm und haben wenig. In Südafrika sind diese Unterschiede sehr krass. Da gibt es sehr reiche Leute, die große Häuser mit eigenem Swimmingpool haben und einem großen Zaun drum herum. Und es gibt sehr arme Menschen, die haben überhaupt kein Zuhause, keine Arbeit und auch kein Geld, um sich Essen zu kaufen oder eine Wohnung zu mieten.

Wo der Unterschied zwischen Arm und Reich so groß ist, da ist es zu verstehen, dass die ganz Armen versuchen, sich etwas von den ganz Reichen zu holen. Doch auch, wenn man das verstehen kann; richtig ist das trotzdem nicht. Denn sich etwas zu nehmen, was einem anderen gehört, das ist Diebstahl. Und Diebstahl ist ein Verbrechen. Immer. Auch wenn es gemein ist, dass es so große Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen gibt.

Auch auf einer Baustelle gibt es immer wieder Diebe, die nachts versuchen, Steine, Kabel, Werkzeuge und noch vieles andere zu stehlen, um die Dinge zu verkaufen und so ein bisschen Geld zu bekommen. Und oft suchen auch Menschen wie Ayanda und Tebogo, die kein Zuhause haben, dort nach einem Platz, an dem sie einigermaßen sicher und trocken schlafen können.

Wegen der Diebe und der Menschen ohne Wohnung stellen viele Firmen und reiche Leute Wachmänner ein. Die Aufgabe dieser Wachmänner ist es, nachts wach zu sein (daher der Name) und das Haus – oder die Baustelle – zu beschützen. Wachmänner sind also so eine Art Privatpolizei. Und mit denen kann man ganz schön Ärger bekommen, wenn die einen dort erwischen, wo man nicht sein darf.