« 15. Dezember »

Versprechen

„Natürlich bekommst du neue Sportschuhe“, verspricht Papa. „Du bekommt alles, was du willst!“

Fernanda würde ihm gern glauben. Meint er es ernst oder ist er nur müde?

„Und der Schnaps?“, fragt sie.

„Ich trinke nicht mehr!“, sagt Papa sofort, aber das sagt er immer. „Nicht mehr so viel“, sagt er dann leiser und irgendwie traurig. Fernanda findet, das klingt schon ehrlicher.

„Was hast du da?“ Erst jetzt fällt ihr auf, dass Papa eine kleine Schachtel in der Hand hält.

„Ein Weihnachtsgeschenk für Mama!“ Papa öffnet die Schachtel. Darin liegt ein Lederarmband mit einem goldenen Anhänger, einem Stern.

„Oh, ist das schön!“, haucht Fernanda. „War das nicht sehr teuer?“

„Ein bisschen“, antwortet Papa. „Deswegen habe ich heute auch fast nichts getrunken. Ich werde mich ändern. Ich verspreche es dir, kleiner Goldstern!“

Papa umarmt Fernanda. Es wäre so schön, wenn er Recht hätte! Aber er hat schon so oft versprochen?, sich zu ändern.

„Schau, in der Schachtel ist noch ein kleiner Stern“, sagt Papa. „Der ist für dich, kleiner Goldstern. Lässt du mich jetzt ins Schlafzimmer? Ich bin so müde.“

Fernanda schaut den Stern an, den Papa ihr gegeben hat. Er ist hübsch und liegt gut in der Hand.

„Krah! Was sagst du nun, kleiner Goldstern?“

Der Stern leuchtet so hell auf, dass er den Vogel blendet. „Von wegen!“, schimpft er. „Ich bin nicht irgendein Goldstern!“

„Ist ja gut.“ Der Vogel hält sich mit dem schiefen Flügel die Augen zu.

Versprechen

Mit Versprechen ist das so eine Sache. Wir sehen das bei Fernandas Vater: „Ich werde mich ändern! Ich verspreche es dir!“, sagt er zu Fernanda. Doch Fernanda denkt: „Es wäre schön! Aber er hat es schon so oft versprochen.“

Wenn mir jemand verspricht, sich zu ändern, dann ist es immer schwer, das zu glauben. Denn wir wissen ja von uns selbst: Es ist nicht einfach, sich selbst zu ändern.

Ich glaube, das liegt daran, dass wir Menschen so ähnlich sind wie Wasser. Wenn Wasser den Berg runter läuft, dann sucht es sich immer den Weg, der am einfachsten ist. Und auf diesem Weg gräbt sich das Wasser ein Bett. Das heißt, der Weg, den das Wasser fließt wird immer tiefer. Und wir nennen das dann ein Bachbett und das fließende Wasser ist ein Bach. So. Das ist in Ordnung. Aber wenn jetzt der Bach in seinem Bett fließt, dann kann er kaum noch woanders fließen. Der Bach kann sich nicht so einfach verändern. Am besten ist es, wenn da ein Mensch kommt und sagt: Nein, hier sollst du nicht mehr lang fließen. Darum baue ich jetzt einen Damm und schaufele für dich ein neues Bett, damit du woanders lang fließen kannst. Erst dann wird der Bach seinen Lauf ändern. Sich allein zu verändern ist eben schwer. Nicht nur für einen Bach.

Fernandas Papa hat das zum Beispiel schon oft gemacht. Ich meine, das ganze Geld vertrinken und hinterher sagen: Ich mach das nicht mehr. Warum sollte Fernanda ihm glauben, wenn er das jetzt wieder sagt. Schließlich weiß sie, dass es für einen Menschen genauso schwer ist sich zu verändern, wie für einen Bach.

Und darum sind Versprechen wichtig. Ich finde: Wenn Fernandas Papa sagt: Ich verspreche dir, mich zu ändern, dann sagt er eigentlich: Ich will wirklich versuchen, es anders zu machen, aber ich brauche Hilfe dabei. Ich brauche Leute, die auf mich aufpassen und mir dabei helfen, mir einen neuen Weg zu schaufeln. Kannst du bitte mein Aufpasser sein, damit ich das tue, was ich Dir versprochen habe?

Natürlich kann Fernanda ihm nicht viel helfen. Sie könnte vielleicht sagen: Ok. Du hast mir versprochen, dich zu verändern. Dann will ich dir helfen, dich zu verändern. Wenn wieder Zahltag ist, dann hole ich dich von der Arbeit ab und du gehst mit mir zusammen nachhause. Und wir gehen zusammen an der Kneipe vorbei. Dann musst du nicht reingehen und trinken und kannst dich verändern.

Besser wäre natürlich, wenn Fernandas Papa das mit der Mama abspricht, denn eigentlich sind die Erwachsenen dafür zuständig, sich gegenseitig beim Verändern zu helfen. Also eigentlich sollte die Mama mit dem Papa verabreden, dass sie am Zahltag gemeinsam von der Arbeit nachhause gehen. Fernanda kann dann ja mitkommen. Dann helfen beide.

Aber Fernanda kann noch etwas anderes tun. Sie kann ihrem Papa glauben. Auch wenn sie schon oft dabei war, wie er etwas versprochen und dann doch nicht geschafft hat. Denn jedes Versprechen ist ein neuer Versuch. Und irgendwann wird er es schaffen. Wir dürfen nie aufhören, den Menschen, die wir lieb haben, zu glauben, dass sie sich verändern wollen. Auch wenn sie es schon 777 Mal nicht geschafft haben. Eines Tages werden sie es schaffen. Wer lieb hat, gibt nicht auf.