« 21. Dezember »

Deutschland

Die Reise von Indien dauert lange. Stunden um Stunden sind Stern und Vogel unterwegs. Schließlich halten sie an. Nach der Hitze, den bunten Farben, den vielen Düften und Geräuschen und all den vielen, vielen Menschen in Indien ist es in diesem Land still und vor allem dunkel.

„Wo sind wir hier?“, fragt der Stern.

„In Deutschland“, krächzt der Vogel. „Hier ist es Winter und fast immer dunkel. Also scheine so hell du kannst! Und schau mal da unten …“

Der Stern bläht sich auf, er funkelt und strahlt. Er wartet nur darauf, dass die Leute in dem Haus da unten bei seinem Anblick laut „Ah!“ und „Oh!“ rufen.

„Ah!“, schreit Lea. Sie hat sich an den Nadeln des Weihnachtsbaums gepiekt. Tut das weh!

„O-oh“, macht Timmy. Er wollte die Kerzen aus der Schachtel holen. Die Schachtel ist ihm runtergefallen und die guten Kerzen kriegen Macken und sind nicht mehr schön.

„Himmelherrgott nochmal!“, schimpft Papa. „Ich habe doch gesagt, nur Eltern dürfen den Baum schmücken. Das ist Tradition?! Aber mir hört hier ja keiner zu.“

„Die Kinder möchten doch so gern beim Schmücken helfen“, sagt Mama. „In der Zeit kannst du mir helfen, das Haus zu putzen, die Kartoffeln zu schälen und den Abwasch zu machen. Warum bleibt hier immer alles an mir hängen?“

„So gehört das nicht!“, schreit in diesem Moment Lea, weil Timmy versucht, die kaputten Kerzen ohne Kerzenhalter an den Baum zu stecken.

Timmy schubst seine Schwester. „Weiß ich doch!“, schreit er.

„Schreit doch nicht so!“, schreien Mama und Papa im Chor.

Alle vier gucken sich erschrocken an.

Tradition

Tra-di-zjoohn. Was für ein komisches Wort. Klingt irgendwie laut, findest du nicht? Nach Trara und Megafon. Hat aber gar nichts damit zu tun. Ganz im Gegenteil. Eigentlich ist Tradition ein leises Wort. Tradition ist nämlich, wenn man etwas so macht, wie man das schon immer gemacht hat. Also zum Beispiel: Morgens, wenn ich wach werde, mache ich zuerst die Augen auf. Dann recke und strecke ich meine Arme ganz lang. Dann schwinge ich die Beine aus dem Bett. Und dann geh‘ ich aufs Klo. Das ist bei mir Tradition. Das mache ich jeden Morgen so. Und das ist gut. Weil: Da muss ich nicht nachdenken: Was muss ich eigentlich zuerst machen, wenn ich aufwache? Erst Pipi oder erst aufstehen? Manchmal ist es eben richtig gut, eine Tradition zu haben. Weil man dann weiß, was man tun muss, ohne immer wieder neu drüber nachdenken zu müssen. Dann ist Tradition ein gutes, leises Wort.

Aber Tradition kann auch ein lautes Wort sein. So wie in unserer Geschichte, wenn der Papa schimpft: „Das ist Tradition! Das machen wir immer so!“

Hmmmm. Manchmal möchte man es aber nicht so machen wie immer. Manchmal möchte man ja auch mal etwas Neues ausprobieren, etwas anders machen. Wenn die Kinder größer werden und besser helfen können, dann möchten sie auch mal ausprobieren, wie das ist, den Christbaum selbst zu schmücken. Warum denn nicht? Macht doch Spaß, mal etwas Neues auszuprobieren, oder? Und wenn dann einer „Tradition“ sagt – und das laut und damit meint: „Wir machen das so wie immer! Da denken wir nicht drüber nach!“ … Dann ist Tradition plötzlich nicht mehr leise und hilfreich sondern laut und störend.

Komisch, findest du nicht auch? Manchmal können die gleichen Wörter gut sein und manchmal schlecht.